03.10.2015 Vortrag und Panel auf der Jahrestagung der „Gesellschaft für Medinwissenschaft“ (GfM) in Bayreuth (30.09.-03.10.2015), Schwerpunkt: „Utopien. Wege aus der Gegenwart“.
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03.10.2015 Vortrag und Panel auf der Jahrestagung der „Gesellschaft für Medinwissenschaft“ (GfM) in Bayreuth (30.09.-03.10.2015), Schwerpunkt: „Utopien. Wege aus der Gegenwart“.

Utopien. Wege aus der Gegenwart

03.10.2015 Vortrag und Panel auf der Jahrestagung der „Gesellschaft für Medinwissenschaft“ (GfM) in Bayreuth (30.09.-03.10.2015), Schwerpunkt: „Utopien. Wege aus der Gegenwart“.

Konzeption und Leitung des Panels: „Gestern ist morgen. Retrofuturismus in der Popmusik“

Vortrag im Panel „Gestern ist morgen. Retrofuturismus in der Popmusik“:
Retro Vision. Zur Retro(u)topie in der Popkultur

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GfM-Jahrestagung

30.09. – 03.10.2015

Universität Bayreuth
„Gestern ist morgen. Retrofuturismus in der Popkultur“

Retrofuturismus ist das utopische Versprechen einer vergangenen Gegenwart, das eine zukünftige Vergangenheit gegenwärtig performativ werden lässt. Dieses Versprechen erzeugt als Modus der Produktion und Betrachtung die Retrospektive. Die Retrospektive wird von der Zeitgebundenheit an ihre jeweilige Gegenwart bestimmt. Ihrer Zeit entflieht die Retrospektive ideologisch- und ästhetisch-visionär, ohne sich selbst als gegenwärtig überschreiten zu können. Retrospektiven sind Gegenwartsdiagnosen und Gegenwartsästhetiken, deren Adresse die Möglichkeiten und Grenzen der Veränderung der Wirklichkeit ist. Hierbei lassen sich zwei Tendenzen beobachten: einerseits markiert die Vergangenheit das Zukünftige als das zukünftig-vergangene Utopische; andererseits markiert das Zukünftige das Vergangene als das vergangen-zukünftige Utopische. Zukunftsvisionen der Vergangenheit und Vergangenheitsvisionen der Zukunft spielen eine prominente Rolle in Popkultur. In der Popmusikkultur etwa dominieren nicht die Retrospektiven, sondern Retrowellen, deren ausschließliches Kennzeichen es ist, wie Simon Reynolds in Retromania (2011) betont, dass sie Modewellen sind, deren Inhalt eine rückwärts orientierte Mode ist. Grundlagen aktuell vorherrschender Stil- Codes bzw. aktueller ästhetischer Konzepte werden hierbei nicht verwendet, noch werden diese in Retro-Kulturen als deren originäre Neuschöpfungen hervorgebracht. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit steht der Arbeit an der Zukunft im Weg. Von popkulturellen Retrowellen geht, so Reynolds, kein utopisches Denken aus. Im Panel wird, ausgehend von der kritischen Lektüre des anti-utopischen Retro-Pop-Konzepts von Reynolds, eine exemplarische eine exemplarische Diskussion der utopischen Potentiale des Retrofuturismus und der Retro-Kulturen in der Popmusik mit Blick auf »Steampunk« und »Soul« geführt. Popkulturelle Retro-Kulturen werden grundlegend als utopische (Medien-)Kulturen aufgefasst.

 

Vorträge des Panel:

Marcus S. Kleiner
Retro Vision. Zur Retro(u)topie in der Popkultur

Retrofuturismus – Utopie, als Fortschritt, durch Rückblick? Retro- Kultur – Subversion durch Recycling? Oder steht die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Beschäftigung mit der Zukunft in der Popkultur im Wege? Für Simon Reynolds ist die Antwort eindeutig: Nostalgie, Sampling-Kultur und Retromania – die Pop(musik)kultur recycelt sich zu Tode und stellt damit ihre eigene Zukunft infrage. Die Idee des Retrofuturismus besteht hingegen darin, in der Gegenwart durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Ideen für die Zukunft aufzuspüren – dies ist ihr utopischer Kern. In der Pop(musik)kultur erschöpft sich, wie Reynolds betont, die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit durch die Flucht in die Pop-Archive. Ein Beispiel für diese dystopische Retro-Kultur in der Popmusik, die temporär stilprägend ist, aber keinerlei Utopie in sich trägt, in ihrer Gegenwart nur gegenwärtig ist und nach dieser selbst zum Gegenstand für Zitationen und Retro-Recycling wird, ist Lana Del Rey: Sie sieht aus wie eine Hollywood-Diva im Look des White Trash, singt von den verlorenen Träumen Amerikas und setzt ihre Musikvideos aus grobkörnigen Archivsequenzen zusammen. Sie ist hierbei vollkommen nostalgisch. Die Frage, wie die Zukunft des Pop aussieht, beantwortet Reynolds nicht explizit, er hält beides aber zumindest für möglich, wie der Abschlusssatz des letzten Kapitels von »Retromania« mit dem Titel »Tomorrow« nahelegt: »I still believe the future is out there.« Dieser Beitrag stellt, ausgehend von einer Diskussion der Bedeutung selbstreflexiver Retro-Kulturen in der bzw. für die Popmusik, eine zur dystopischen Retro-Kritik von Simon Reynolds alternative Perspektive auf die Retro-Kultur dar, die zu den utopischen und progressiven Wurzeln des klassischen Retrofuturismus zurückkehrt – orienteiert am Titel dieses Panels: Gestern ist morgen. Retro-Pop ist Utopie-Kultur.

 

Marcus Stiglegger
Vintage Vision. Zur Retro(u)topie der Popmusik am Beispiel von »Steampunk« 

Die Textur von fleckigem Antikleder, durch Berührung polierte Messingbeschläge, bizarre dampfbetriebene Apparaturen, eine Fusion von viktorianischer Industrialisierung und futuristischer Technologie: Was sich in den späten 1980er Jahren zunächst in der Literatur und nach und nach in den anderen narrativen Medien, in Mode und Subkultur etablierte, hatte zu Beginn nicht einmal einen Namen. Dabei ließen sich die Wurzeln dieser Retro-Science-Fiction lange zurückverfolgen, bis zurück zur Geburt der wissenschaftlichen Utopie: zu Jules Verne, Herbert George Wells und Mary Wollstonecraft Shelley. Im 19. Jahrhundert schrieben sie von der Reise in unbekannte Sphären, von der Zeitreise oder der Erschaffung eines künstlichen Menschen, ohne dass sie dabei ein spezielles Genre bedienen mussten. Und selbst als Fritz Lang 1927 seine dampfdurchwirkte Großproduktion „Metropolis“ in die Kinos brachte, war noch kein Namen für das Genre gefunden. Heute hat dieses Phänomen einer rückwärtsgewandten, »antimodernen« Science Fiction einen Namen und ein Programm: Steampunk. Steampunk selbst gleicht einer stilistischen Zeitreise. Der Stil kombiniert die Mode und Architektur der viktorianischen Ära Englands und Amerikas mit Elementen des Kolonialismus, der frühen Industrialisierung und der langsam aufkommenden Technologien: Dampfkraft, aber auch Elektrizität. Steampunk gehört zu der »spekulativen Geschichtsschreibung« (Was wäre wenn…?) und berichtet von der fiktiven Vergangenheit der Zukunft. Erzählende Werke des Steampunk in Literatur, Film und Game können somit per se als Zeitreise betrachtet werden. Aus den literarischen und filmischen Fiktionen hatte sich bis nach 200ein spezifischer Kleidungsstil entwickelt, der auf Steampunk-Conventions, in Musikvideoclips und burlesken Bühnenshows (das Karnevaleske ist dort ebenfalls bereits angelegt) und eigenen Internetportalen Verbreitung findet. Der Vortrag wird den Zusammenhang zwischen Retrofuturismus, Steampunk und Popkultur erkunden.

 

Thomas Wilke
Violence Vision. Zur Retro(u)topie von Black Power im Soul 

Im Soul wird stets über eine Kritik der Gegenwart die Utopie einer besseren Welt beschworen. Sei es Curtis Mayfield & The Impressions (People get ready, 1965) oder Aretha Franklin (mit Bezug auf Otis Redding: Respect, 1967), sei es James Brown (Say it loud, I‘m black and proud, 1969), oder Marvin Gaye (What‘s goin‘ on, 1971), seien es Sly Stone (There is a riot goin on, 1971), Isaac Hayes (Black Moses, 1971) oder Jill Scott Heron (The Revolution will not be televised, 1974). Die zeitgenössische musikalische Auseinandersetzung ist nicht nur Selbstzweck oder Ausdruck einer warenförmig-affirmativen Ästhetik, sie gibt Hoffnung und Identität, denn sie eint das Grundverständnis einer sich herausbildenden Black Community mit all ihren Widersprüchen. 2014 erschüttern die Ereignisse in Ferguson und New York die amerikanische Gesellschaft und entfachen eine neuerliche Diskussion um den latenten Rassismus. D‘Angelo nimmt das zum Anlass, sein Album „Black Messiah“ ein halbes Jahr früher zu veröffentlichen, um ein Zeichen zu setzen. D‘Angelo vereint Soul und Hip Hop, popularisierte mit The Soulquarians den Begriff des »Neo-Soul«, ähnlich wie Erikah Badu, die sich auf „New AmErykah part 1–4th World War“ (2008) kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzte, um eine dystopische Vision der Welt zu entwerfen. Was heißt und wofür steht heute Black Power im Soul, wenn damit von Künstlern ganz konkrete Forderungen nach einer nach wie vor noch nicht eingelösten Utopie verbunden werden kann? Ist Black Power zwangsläufig mit Gewalt verbunden oder weckt die Heftigkeit einer solchen Utopie reaktive Kräfte? Soziale Utopien sind im Soul durch die enge Verbindung zur unmittelbaren sozialen und musikalischen Vergangenheit zwar stets präsent gewesen, aber vergleichsweise marginal in ihrer Reichweite geworden. Der Beitrag diskutiert beispielhaft die popkulturellen Verflechtungen von Retrowellen im und Utopien des Soul.

 

Programmheft zum Download:

Programm Jahrestagung Gesellschaft für Medienwissenschaft Marburg 2014

 

 

Abstractheft zum Download:

Programm Jahrestagung Gesellschaft für Medienwissenschaft Marburg 2014