07.10.2017 Vortrag und Panel im Kontext der Jahrestagung der “Gesellschaft für Medienwissenschaft” (GfM) an der FAU Erlangen-Nürnberg (04.10.-07.10.2017), Schwerpunkt: “Zugänge”
4092
post-template-default,single,single-post,postid-4092,single-format-standard,bridge-core-3.0.1,qode-page-transition-enabled,ajax_fade,page_not_loaded,,qode-theme-ver-28.6,qode-theme-bridge,disabled_footer_bottom,qode_header_in_grid,wpb-js-composer js-comp-ver-6.7.0,vc_responsive

07.10.2017 Vortrag und Panel im Kontext der Jahrestagung der “Gesellschaft für Medienwissenschaft” (GfM) an der FAU Erlangen-Nürnberg (04.10.-07.10.2017), Schwerpunkt: “Zugänge”

Gesellschaft für Medienwissenschaft

07.10.2017 Vortrag und Panel im Kontext der Jahrestagung der “Gesellschaft für Medienwissenschaft” (GfM) an der FAU Erlangen-Nürnberg (04.10.-07.10.2017), Schwerpunkt: “Zugänge”

Gesellschaft für Medienwissenschaft

Stilgemeinschaften. Popsubkulturen als Medienzugang und Zugangsmedien

Chair(s): Prof. Dr. Marcus S. Kleiner (SRH Hochschule der populären Künste Berlin)

Die Auseinandersetzung mit der Popkultur wird von zwei Zuschreibungen bestimmt: Pop als Markt und Pop als Rebellion. Pop wird einerseits mit Konsum, Party, Profit, Unterhaltung, Mainstream assoziiert und als Marken- und Warenartikel deklariert. Andererseits wird Pop als authentisch, subkulturell, provokant, sozial- und sprachkritisch bezeichnet und ist in diesem Sinne ein Medium der Rebellion und des Widerstandes – letztlich gelebte Aufklärung und autonome Selbstkonstitution. Pop wird hier mit Konfrontation und Subversion gleichgesetzt. Subkulturelle Abweichung bedeutet eine fremdreferenzielle Distinktionsbewegung, die durch Geschmacks- und Stilbildungen ein gemeinsames (sub-)kulturelles (Medien-)Milieu konstituieren, in dem (sub-)kulturelles Kapital erworben werden kann und das sich in Opposition zum Alltag und zur Dominanzkultur bzw. dem Mainstream bildet – in für diese (Sub-)Kulturen signifikanten Praktiken, Medien und Kommunikationen.
Das Panel diskutiert, wie Popsubkulturen die Performance von popkulturellen Stilgemeinschaften aufführen und in partizipativen Medienkonstellationen reflektieren. Popsubkulturen erzeugen hierbei Schwellensituationen (z.B. Szenen, Mode, Körperinszenierungen, Musik), die den Mediengebrauch präformieren. Hierbei entscheiden Popsubkulturen einerseits, wer Szene-spezifisch zur Teilnahme ermächtigt wird und zugleich, welcher Mediengebrauch Szene-spezifisch legitim ist. Die Beiträge des Panels fokussieren sich auf Jazz, als die erste Popsubkultur avant la lettre, Psychobilly und HipHop. Das Erkenntnisinteresse besteht darin, Popsubkulturen einerseits als soziale und technische Zugriffsformen auf Medien zu begreifen (Medienzugänge) und sie andererseits als medial vermittelte Stilgemeinschaften (Zugangsmedien) auszuweisen. Popsubkulturen lassen sich aus dieser Perspektive als inkludierende und exkludierende Medien(sub)kulturen begreifen, die die Fragen nach ihren Partizipationsregulationen und Nutzungsbarrieren Szene-spezifisch aushandeln.

Beiträge des Symposiums

Zugänge zur Kultur durch Popmusik: Die frühe Jazzszene als (Proto-)Pop-Subkultur
Prof. Dr. Hektor Haarkötter
HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln
Teilanalalphabetische Schwarze bemächtigen sich der Kulturtechnik der weißen Mehrheitsbevölkerung und schaffen eine Kunstform sui generis. Eine (Proto-)Pop-Subkultur wie der Jazz schafft neue Zugänge, weil die „klassischen“ Zugänge des Mainstream versperrt sind (Schwendter 1993).
Musikalische „Hochkultur“ definiert sich nach ritualisierten Regeln in Komposition (Sonatenhauptsatz) und Performance (Frackzwang). Pop-Subkultur definiert sich durch Regelbruch. Im Jazz wird das deutlich in der Improvisation, der nur noch ein Grundgerüst an (harmonischer) Regel-Mäßigkeit zugrundeliegt und die sich bis zu Impro-Battles steigern kann – ein Vorbote der Rap-Battles der 1980er-Jahre (Berliner 2009).
Jazz als Subkultur entwickelt auch jenseits des musikalischen Raums eigene Codes, z.B. modisch (Existenzialisten-, Hipster-Look), sprachlich (Slangausdrücke für kulturelle Phänomene) und in der persönlichen Lebensweise (Drogen)(Davis/Troupe 1990). Die „Swing-Jugend“ der NS-Zeit definiert sich qua Verbot systemoppositionell (Wuthe 2009).
Jazz befruchtet „Hochkultur“. Strawinski komponiert Ragtime, Gershwin mixt Klavierkonzert und Musical, Louis Malle verwendet Miles Davis-Musik als Filmmusik. Jazz bietet selbst wieder Zugänge zur eigenen subkulturellen Sphäre und Transgressionsangebote für den Mainstream (Behrend/Huesmann 2009).
Pop-Subkulturen und Mediensystem sind dialektisch: Schallplattenindustrie (Horkheimer/Adorno: „Kulturindustrie“) und früher Jazz entwickeln sich parallel (Hofacker 2012; Loch 2010). Die max. Abspiellänge der Schellackplatten u. Vinyl-Singles definiert die Länge von Jazzkompositionen. Free-Jazz entwickelt sich erst mit Durchsetzung der Langspielplatte. Der erste Tonfilm heißt: „The Jazz-Singer“.
Der Beitrag definiert die frühe Jazzszene als Subkultur im Sinne M. Gordons, M. Brakes oder A. Cohens und als mediensoziologisches und medienökonomisches Dispositiv im Sinne Foucaults, das Zugänge in vormals hermetische Kultur- und Gesellschaftsbereiche bietet.

Hells Bent On Rockin’. Die Popsubkultur Psychobilly
Prof. Dr. Marcus S. Kleiner
SRH Hochschule der populären Künste Berlin
Psychobilly ist eine Popsubkultur, die in den frühen 1980er Jahre in England als Kritik an der Entwicklung des Rock’n’Roll und Rockabilly der 1950er Jahre entstand. Diese frühen Popsubkulturen wurden als rebellisch wahrgenommen, waren aber am Ende der 1970er Jahren massentaugliche Musik und als subkulturelle Stilgemeinschaft ein Modephänomen. Psychobilly vermischte die Rhythmik und Melodik des Rockabilly mit Punk-Einflüssen, um damit eine aggressivere und energievollere Musik zu erhalten. Psychobilly wird klassischerweise mit Gitarre, Bass (üblicherweise mit Kontrabass oder Slap-Bass) und Schlagzeug gespielt. Einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Psychobilly nahm die US-amerikanische Band „The Cramps“ (Gründung 1976), die den Rock’n’Roll und Rockabilly der 1950er Jahre mit dem Garagerock der 1960er Jahre und dem New Yorker Punkrock der frühen 1970er Jahre verband. Die ästhetische Kommunikation der „Cramps“ (u.a. Vinyl-Art-Work, Plakate, Bandoutfit, T-Shirt, Texte, Büheninszenierung) wurde durch Bezüge zu Comics, Horror-, Science Fiction- und Sex-B-Movies, zur Pin Up-Kultur des Bondage- und Fetisch-Models Betty Page oder zur Trailer-Park-Kultur des sog. White Trash bestimmt. Diese vielfältigen ästhetischen Bezüge waren wegweisend für die entstehende Psychobilly-Subkultur, die weitere Inspirationen durch Zombieerzählungen, Geschichten über Psychopathen und durch die Auseinandersetzung mit Motiven wie z.B. Wahnsinn oder Tod erhielt.
Als Begründer des Psychobilly gilt die britische Band „The Meteors“ (Gründung 1980). Zusammen mit der britischen Band „Demented are go“ (Gründung 1982), die sich durch stärkere Punkbezüge auszeichnete und das Psychobilly-Subgenre Punkabilly begründete, bestimmten „The Meteors“ die Entwicklung des Psychobilly’s bis zur Gegenwart. Die Subkultur Psychobilly zeichnet sich, neben der Musik, durch einen markanten Haarschnitt (sog. Flattop), die Mischung aus Punk- (z.B. Nieten), Teddyboy- (etwa Creeper-Schuhe), Rocker- (u.a. Bikerstiefel), Mod- (Harringtonjacke etc.) und Skinhead-Mode (gebleichte Jeans usw.) sowie durch Symboliken des Okkulten (wie z.B. Totenschädel) und des 1950er Rock’n’Roll (u.a. Würfel) aus. Aus diesem Netzwerk an Bezügen entstehen zahlreiche Zugänge.
Die Diskussion der Popsubkultur Psychobilly fokussiert, anhand der drei zuvor herausgestellten Bands, den Zusammenhang von Psychobilly-Szene (Medienzugänge) und deren Szene-Medien sowie den Medienberichten über diese Szene (Zugangsmedien).

Step into a world / where there’s no one left … Hip Hop und Rap in Deutschland als Popsubkultur
Prof. Dr. Thomas Wilke
PH Ludwigsburg
Hip Hop entwickelte sich Mitte der 70er Jahre in New York zu einer gewachsenen Subkultur mit eigenen Inklusions- und Exklusionsmechanismen und ist heute weltweit verbreitet. Der spezifische Gebrauch von Musik, Sprache, Tanz, Farben und im Folgenden auch der Mode produzierte ein Schema, dass sich in Jugendkulturen eigensinnig adaptieren ließ, ohne dass Aspekte des Widerstandes und der Rebellion affirmativ übernommen oder aufgegeben werden mussten. Die originär-amerikanische Stilgemeinschaft wird mit all ihren Widersprüchlichkeiten zur medial vermittelten Blaupause: Partyrap vs. Conscious-Rap vs. Porno-Rap vs. Gangsta-Rap. In Deutschland entstehen sowohl in der DDR als auch in der BRD bereits Mitte der 80er Jahre erste Rapversuche, die relativ schnell eine sprachliche Differenzierung produzieren: Wer etwas auf sich hielt, rappte auf Englisch, deutscher Rap war inakzeptabel. Die spaßorientierte Popularisierung deutschen Raps kam aus der bürgerlichen Mittelschicht Anfang der 90er Jahre (Die Fantastischen Vier Die da). Parallel dazu setzte eine Entwicklung ein, die versuchte, ernsthafte Themen in Rap umzusetzen (Advanced Chemistry aus Heidelberg). Diesen und anderen Entwicklungen ist gemein, dass sie auf mediale Vorbilder setzen und eigene Zugangskriterien für Reelness, Authentizität, Zugehörigkeit etc. entwickeln, die zum Einen auf die Differenz Subkultur/Mainstream abzielen und zum Anderen die Zugehörigkeit zum jeweils eigenen Verständnis von Hip Hop als Popsubkultur.
Der Beitrag fokussiert den Prozess der kommunikativen & medialen Aneignung von Hip Hop in Deutschland und die Transformation medialer Vorbilder aus den USA, die sich vorwiegend in den Stereotypen des Gangsta-Rap (Aggro Berlin) und des intellektuellen Conscious-Rap (Blumentopf aus München, Dendemann aus Hamburg) wiederfinden. Es soll aufgezeigt werden, dass Hip Hop als Popsubkultur ein mediales Setting benötigt, das wiederum zur Voraussetzung einer spezifischen Zugangsweise wird: Graffiti-Sketchbooks, Breakdance- und DJ-Battles oder Sprechweisen des Signifyin’.