CICERO. „Die Deutschen sind für mich Wiesel“.
An jedem Neuanfang sollte man sich fragen, wer man eigentlich ist. In seinem Buch „Deutschland 151“ spürt Marcus S. Kleiner der deutschen Identität nach. Im Neujahrsinterview spricht er über Aufklärung und Anti-Aufklärung, die Debatte über eine deutsche Leitkultur und Gartenzwerg.
CICERO, "Die Deutschen sind für mich Wiesel". Marcus S. Kleiner, Björn Eenboom
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CICERO. „Die Deutschen sind für mich Wiesel“.

CICERO. „Die Deutschen sind für mich Wiesel“.

Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Björn Eenboom.

„An jedem Neuanfang sollte man sich fragen, wer man eigentlich ist. In seinem Buch „Deutschland 151“ spürt Marcus S. Kleiner der deutschen Identität nach. Im Neujahrsinterview spricht er über Aufklärung und Anti-Aufklärung, die Debatte über eine deutsche Leitkultur und Gartenzwerge, die, so Kleiner, als Symbol der provinziellen Glückseligkeit ein Accessoire für Hipster in Berlin-Friedrichshain geworden sind.“

Quelle: CICERO

Auszüge aus dem Interview:

``Herr Kleiner, Sie haben in Ihrem Buch „Deutschland 151“ die deutschen Gefilde durchstreift, um das Wesen der Deutschen zu ergründen. Mit was für einem sozio-kulturellen Nährboden haben wir es bei den Deutschen zu tun?
Die Suche nach einem Wesenskern der Nation bereitet mir Unbehagen, weil ich der Meinung bin, dass es diesen einen deutschen Wesenskern gar nicht gibt, der aber immer wieder adressiert wird, um Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten zu vereinheitlichen, damit wir uns von anderen Ländern und Menschen unterscheiden können. Mein Ansatz war vielmehr, mich von der vermeintlich deutschen Identität zu entfernen, um dann zu schauen, was übrig bleibt.``
(...)
``Wie erklären Sie sich diese Ambivalenz, die Sie dem Deutschsein eher zuschreiben als das Eindeutige?
Es treffen dabei zwei Dinge aufeinander: Die preußischen Tugenden haben unseren Alltag nach und nach durchwandert und haben Einfluss auf uns genommen. Ein jeder, der in Deutschland aufwächst, weiß, was die damit verbundenen Maßstäbe und Werte wie Disziplin, Ordnung, Effizienz und Pünktlichkeit sind. Das zwingt uns in ein relativ starkes Korsett des Verhaltens, des Denkens und des Fühlens. Das schafft einen Druck, der ein Ventil braucht. Und dieses Ventil kann unterschiedlich ausgeprägt sein. Das kann in eine Verweigerungshaltung münden, oder Protest sein, das kann aber auch extremistisch werden. Je mehr ich in ein Verhaltenskorsett gezwungen werde, um mich als gesellschaftsfähiges Subjekt in die Gesellschaft einzufügen, desto mehr löst das auch in mir den Wunsch aus, es mal anders zu machen oder mich diesem Druck entziehen zu wollen. Zudem sind die Deutschen häufig ganz entschieden unentschieden und verharren im Spannungsfeld ambivalenter Haltungen, Werte, Meinungen oder Geschmacksvorstellungen.``
 (...)
``Sind deshalb Debatten um Integration und die deutsche Leitkultur so problembehaftet?
Natürlich. Integration nur zu messen an der Sprache oder den Werten bis hin zu Feiertagen, die Zugezogene annehmen sollen, sind völlig falsche Ansätze, um eine interkulturelle Gesellschaft, die von Vielfalt bestimmt sein soll, zu gestalten. Die Integrationsbemühungen um die Gastarbeiter in der Nachkriegszeit scheiterten, weil die falschen Begriffe, Erwartungen und Perspektiven verwendet wurden, nicht zu vergessen häufig auch die notwendige Menschlichkeit fehlte, diese Menschen als Menschen zu behandeln. Zu sagen, passt euch uns an und dann ist alles gut, ist viel zu kurz gegriffen und auch vollkommen falsch, da man sich niemals wirklich auf diese Menschen eingelassen hat. Dabei ist Deutschland ein vollkommen interkulturelles Land, doch wir wollen dieses interkulturelle Moment eigentlich gar nicht so richtig zulassen. Stattdessen versuchen nicht nur Kräfte der AfD, die Räume eng zu machen, um zu einem nostalgischen Deutschlandbild zurückzukommen. Ich greife beispielsweise den Begriff „Kanak Sprak“ auf, den der Schriftsteller Feridun Zaimoglu Mitte der 90er-Jahre geprägt hat, und hinterfrage, was es bedeutet, wenn wir in einer interkulturellen Gesellschaft leben und sich die deutsche Sprache durch die Sprache der Migranten verändert. Doch warum übergeben wir dieses Thema in die Hände von Comedians wie Kaya Yanar, die daraus eine doppelte Stigmatisierung machen, die die Konflikte noch verstärken?``
(...)
``Heinrich Heine fühlte sich in seinem Gedicht „Nachtgedanken“ um den Schlaf gebracht, wenn er an Deutschland denkt. Wie ist es um Ihre Nachtruhe bestellt, wenn Sie an Deutschland denken?
Ähnlich unruhig. Mich treibt jedoch nicht diese nostalgische Sehnsucht um, wie Heine sie noch hatte, um Deutschland zu einem besseren Ort zu machen. Denn dieser Zwang zu einem nationalen Wesenskern hat viel Aggression erzeugt im Umgang mit dem Fremden. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Gesellschaft als eine interkulturelle Gemeinschaft begreift, fernab von Nostalgiegefühlen. Dieses nicht offen sein für das andere, was man nicht selbst ist, das ist etwas, was ein Großteil der Deutschen lernen sollte.``

Herzlichen Dank an Björn Eenboom für unser Gespräch.