10 Okt 10.10.2012 Interview mit Marcus S. Kleiner über Großstadtliebe im Kölner Stadtanzeiger
Interviewer: Philipp Haaser
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Zitat:
Herr Kleiner, leben wir in einer Single-Gesellschaft?
Marcus S. Kleiner: Ja, man könnte sagen, dass wir uns zunehmend zu einer Single-Gesellschaft wandeln. In Fernsehserien wie Sex and the City steht die alleinstehende Großstädterin im Mittelpunkt, die ein selbstbestimmtes, unabhängiges Single-Leben führt, das regelrecht glorifiziert wird. Gleichzeitig gibt es aber den Mr. Big, den einen Mann, auf den sie wartet, das Ideal der romantischen Liebe, das fast immer enttäuscht wird und doch, wie in Sex and the City, nach langer Zeit noch Erfüllung finden kann. Die romantische Liebe stellt also trotzdem noch eine reale Möglichkeit dar. Man könnte sagen, Postmoderne und Moderne treffen hier aufeinander.
Das ist ja aber nur Fernsehen. Was bedeutet das für das wirkliche Leben?
Kleiner: Das ist nicht einfach nur Fiktion. Was sagt das über mein Leben, fragen sich die Zuschauer. Fernsehserien sind ein Angebot zur Lebensgestaltung, das durch die Zuschauer ergriffen und verändert, also ihrem Leben angepasst, werden kann. Singles haben die Chance, sich nicht als absonderlich zu sehen, sondern in einer Gemeinschaft. Die Freundinnen der Hauptfigur Carrie Bradshaw bei Sex and the City sind ihre Gemeinschaft, ihre Mikrogesellschaft. Auch eine Gegenbewegung ist heutzutage festzustellen, eine Rückkehr zum Ideal der festen Beziehung – mit mehr Freiheiten als früher allerdings. Das sieht man an Serien, die das romantische Ideal wieder stärken. In der Serie Californication etwa wird dieses Dilemma anhand der ambivalenten, sehr gebrochenen Hauptfigur Hank Moody dargestellt. Moody will zwar seine Familie zurückbekommen, scheitert aber permanent, weil er zugleich frei sein will.
Diese Serie spiel in Los Angeles, Sex and the City in New York. Solche Serien spielen immer in Großstädten. Warum?
Kleiner: Großstädte sind Orte, an denen alles möglich ist, an denen die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen, in verschiedenen Stadtteilen, in einer Vielzahl von Freizeitkontexten, in Clubs und Bars. Die Stadt ist eine Kontaktbörse. Sie verkörpert die Idee der Wahlfreiheit. Die Idee, wohlgemerkt. Die Realität sieht meistens anders aus. Die Menschen leiden an ihrer Wahlfreiheit, unter dem Entscheidungsdruck, den ihre Freiheit mit sich bringt.
Also werden Singles in Großstädten zwangsläufig unglücklich?
Kleiner: Nein. In Köln zum Beispiel gibt es eine Besonderheit. Einerseits ist Köln eine sehr aufregende, weltoffene Großstadt, lebendig, bunt, voll von Attraktionen und Sensationen. Andererseits hat Köln einen ausgeprägten Dorfcharakter. Die Stadtteile wirken wie einzelne Mikrostädte, Orte, an denen die eine Stadt viele Städte ist. Damit gibt es die Möglichkeit, in den unterschiedlichen Zusammenhängen anders zu sein, sich zu verstecken. Es gibt Orte, die regelrecht als Kontaktbörse dienen, wie die Ehrenstraße oder wie das Belgische Viertel. Da ist man als Großstadtjäger oder -jägerin unterwegs. Und es gibt Viertel, in denen man erinnert wird, wo man sich kennt, die eher den traditionellen Lebensentwürfen entsprechen. Das suchen sogar die Kreativen, die Styler, die mit Frau und Kindern in die überschaubare Südstadt ziehen und sich bewusst für diesen Lebensentwurf entschieden haben. Die Stadt spiegelt unsere gegenwärtige Lebenssituation, die Spannung zwischen Freiheit und Bindung. Eine sinnstiftendes Leben als Single, Familie oder in Zwischenformen muss von jedem Einzelnen immer wieder von neuem hergestellt werden.