Popkultur und Mainstream – Ist Massentaugliches eigentlich oftmals von geringer Qualität?
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Popkultur und Mainstream – Ist Massentaugliches eigentlich oftmals von geringer Qualität?

Popkultur und Mainstream – Ist Massentaugliches eigentlich oftmals von geringer Qualität?

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Artikel für den Deutschen Kulturrat in „Politik und Kultur“ zu „Pop und Qualität“ hier ab Seite 17 nachlesen.

 

 

 

 

Zitat:

Popkultur und Mainstream
Ist Massentaugliches eigentlich oftmals von geringer Qualität?

Pop, Popkultur und Populäre Kultur dürfen nicht synonym verwendet werden, eben so wenig, wie Populäre Kultur mit der Gesamt- bzw. Dominanzkultur gleichgesetzt werden kann. Pop und Popkultur sind Bestandteile Populärer Kultur. Der Begriff Populäre Kultur markiert einen kommerzialisierten Gesellschaftsbereich, »der Themen industriell produziert, massenmedial vermittelt und durch zahlenmäßig überwiegende Bevölkerungsgruppen mit Vergnügen (als Informations- und Unterhaltungsangebote) genutzt und weiterverarbeitet wird« (Christoph Jacke). Diese spezifische kulturelle Formation wird als Unterhaltungskultur für die Massen aufgefasst, wobei zwischen Unterhaltung als Kommunikationsweise, als Funktion der Massenmedien, als soziale Institution und als ästhetische Kategorie unterschieden wird. Populäre Kultur als Unterhaltungskultur für die Massen stellt eine historisch neue Produktionslogik und einen darauf reagieren- den spezifischen Rezeptionsmodus dar. Populärkulturelle Massenproduktion und Massennutzung deuten auf gesellschaftliche Veränderungen der Kultur hin. Sie sind Zustandsbeschreibungen (Qualität als Summe aller Eigenschaften eines Gegenstandes), nicht aber unmittelbar wertende Beurteilungen (Qualität als Gütekriterium eines Gegenstandes) der daraus resultierenden Eigenschaften von Kulturgegenständen und ihren Nutzungsniveaus. Massenproduktion, Massenrezeption und Qualität schließen sich genetisch nicht aus.
Die Epoche des Populären beginnt ab Mitte des 19. Jahrhunderts, ist ein kultureller Zusammenhang moderner Gesellschaften und wird durch die Verbürgerlichung der Unterhaltung bestimmt. Ohne bürgerliche Freiheiten, verstanden als Qualitätsmerkmal von Demokratien, wie z.B. die Rezeptionsfreiheit und die daraus resultierende Freiheit bei der Mitbestimmung des Bedeutungsprozesses kultureller Objekte,
Hochkultur ist immer die Kultur der herrschenden Gesellschaftsschicht
gibt es keine Populäre Kultur. Die Entstehung Populärer Kulturen resultiert aus den politischen, ökonomischen, kulturellen, medialen und technologischen Transformationsprozessen im 19. Jahrhundert, die zum Entstehen einer historisch nicht existierenden kulturellen Vielfalt (Produktion) führen – sowie zu einem qualitativen Zuwachs an kulturellen Partizipationsmöglichkeiten und Räumen der Identitätsgestaltung. Populäre Kulturen, als entstehende Massenkulturen, sind ein qualitativer Bestandteil der Demokratisierung westlicher Gesellschaften im Anschluss an die Französische Revolution.
Die qualitative Abwertung von Populären Kulturen und Populären Medienkulturen, etwa des Radios und Films, ab der Mitte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert, resultiert hingegen wesentlich aus ihrer abwertenden Kontrastierung zur Kunst und Hochkultur (E-Musik, Literatur, bildende und dar- stellende Kunst), die von meinungsbildenden Eliten als besonders wertvolle und bewahrenswerte Kulturleistungen ernannt werden, weil sie den von diesen selbst festgelegten spezifischen ästhetischen Maßstäben und Bildungsidealen entsprechen, also selbstreferenziell funktionieren. Im Anschluss an die Französische Revolution ist das Mono- pol in Fragen der Hochkultur, das v.a. der Adel besaß, zu einer Errungenschaft des Bildungsbürgertums geworden, das Kultur, zunehmend auch Populäre Kultur, wiederum zu kanonisieren und qualitativ zu differenzieren begann, um ihre eigene gesellschaftliche Vormachtstellung zu legitimieren.
Hochkultur ist historisch betrachtet immer die Kultur der herrschenden Gesellschaftsschicht, also eine Monopolkultur, die ihre kulturelle Bedeutung und Qualität nicht eigentlich begründen musste, sondern diese als unmittelbar geltend voraussetzt, weil durch sie zugleich die nicht hinterfragbare Macht der herrschenden Gesellschaftsschichten, etwa des Adels oder des Bildungsbürgertums, gestärkt wurde. Radio und Film z.B. mussten sich in ihren historischen Geburtsstunden als Kunst und Hochkultur ausweisen, um einen legitimen Zugang zur kulturellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu erlangen, wie frühe radio- und filmtheoretische Diskurse eindringlich veranschaulichen.
Kulturelle Vormacht in der bürgerlichen Gesellschaft wird wesentlich zu einem diskursiven Phänomen, bei dem es entsprechend um die Erlangung symbolischer Macht geht, d.h. Definitionsmacht als Diskursmacht. Kulturelle Diskurse sind Kämpfe um Bedeutung, mit dem Ziel, diskursive Hegemonie zu erlangen, Ausschluss-Systeme des richtigen und falschen Kulturverständnisses. Die festgeschriebenen kulturellen Wirklichkeiten besitzen klare Codes, die man erlernen, internalisieren oder kennen muss, um sich an den jeweiligen kulturellen Diskursen und Lebenswirklichkeiten beteiligen zu können – anpassend oder abgrenzend. Vergessen werden hierbei zumeist drei Aspekte: erstens, dass die Qualitätsbeurteilung zumeist nicht durch eine konkrete Auseinandersetzung mit den neuen populärkulturellen Gegenständen selbst resultiert; zweitens, dass die verwendeten Gütekriterien der Qualitätsmessung von Populären Kulturen zumeist aus einem anderen kulturellen Bezugsrahmen, d.h. der Hochkultur, stammen, ohne sich zu fragen, ob diese Kriterien überhaupt auf Populäre Kulturen anwendbar sind; drittens, dass sich die Diskurs-, Produktions- und Rezeptionswirklichkeiten seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer weiter auseinander differenzieren und insofern immer unvergleichbarer werden.
Pop und Popkultur entstehen in der Mitte des 20. Jahrhunderts als ei- gensinnige Ausdifferenzierungen und Transformationen Populärer Kulturen. Unter Pop kann im Wesentlichen ein weit gefasster musikzentrierter Traditionsbegriff verstanden werden, der sich seit den frühen 1950er-Jahren, beginnend mit dem Rock’n’Roll, genetisch herleiten lässt. Hiervon aus- gehend kann Pop als offenes Feld bzw. als spezifische kulturelle Formation beschrieben werden, in der es u.a. um Musik, Mode, Sexualität, Jugend, Filme, Medien, Ideologien, alltägliche Machtkämpfe oder Szenebildungen geht. Mit Popkultur können darauf aufbauend alle Formen der Vergemeinschaftung, die aus diesem Popverständnis resultieren, bezeichnet werden.
Die Entstehung der Popkultur in den 1950er-Jahren kann aus einer sozial- strukturell-ökonomischen Perspektive begründet werden: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in den USA die arbeitenden, kaufkräftigen und konsumorientierten Jugendlichen zur wichtigsten Zielgruppe für die Kulturindustrien. Durch die Popmusik, hier in Form des Rock’n’Roll, und die daraus entstehende frühe Popkultur, ist es diesen Jugendlichen möglich, eine andere Form des Konsums, als sie ihn von ihren Eltern kannten, zu entwickeln. Zu- gleich werden sie kontinuierlich in ein kapitalistisches Welt- und Warenverhältnis integriert, das für sie nicht im Widerspruch zur selbstbestimmten und emanzipatorischen Identitätsbildung stand. Popkultur wird in den 1950er-Jahren zu einer generationsspezifischen Bildungsagentur und fungiert bis zur Gegenwart als eine generationsübergreifende – gerade auch dann, wenn Bildung hierbei immer auch eine Warenform ist. Popkulturelle Massenkultur und Qualität schließen sich ebenso wenig aus, wie populärkulturelle Massenkultur und Qualität. Rock’n’Roll und mit ihm die sich formierende so- wie ausdifferenzierende Popkultur wird zum kulturellen Mainstream für den größten Teil der US-amerikanischen Jugendlichen und von dieser kulturellen Urszene aus für den größten Teil der Jugendlichen in der westlichen Welt. Popkultureller Mainstream wird von den Jugendlichen als qualitative Transformationskultur aufgefasst.
Eine wertende, qualitative Differenzierung tritt in den 1960er-Jahren im Kontext der Popkultur auf, zu dem Zeitpunkt, als sich Popkultur selbst zunehmend als feste gesellschaftliche Institution begreift und dadurch selbst- reflexiv sowie selbsthistorisierend wird: Die Begriffe Pop und Popkultur sowie die mit ihnen assoziierten Diskurs- und Lebenswirklichkeiten nehmen spätestens seit Ende der 1960er-Jahre einen konstitutiven Einfluss auf gesellschaftliche Selbstverständigungsdiskurse und Selbstbeschreibungen. Grundsätzlich wird die Auseinandersetzung mit Pop und Popkultur von zwei Perspektiven bestimmt, in denen sich die grundlegen- de Ambivalenz aller Popkultur bzw. pop-kulturindustrieller Güter, in Diskursen und als lebensweltliches Phänomen, widerspiegelt: Pop als Rebellion und Pop als Markt. Aus dieser Perspektive lassen sich zwei semantische Felder, mit denen das Phänomen Pop belegt wird, unter- scheiden, die dem Pop sowie der Popkultur zwei Qualitätsniveaus zuweisen: Einerseits wird qualitativ wertvoller Pop als authentisch, grenzüberschreitend, umstürzlerisch, subkulturell, provokant, sozial- und sprachkritisch bezeichnet und ist in diesem Sinne ein Medium der Rebellion, der Revolution, des Widerstandes und des Protests. Letztlich gelebte Aufklärung und autonome Selbstkonstitution, ein programmatisches Konzept für kulturellen Wandel sowie ein Einspruch gegen die Ordnungs- und Ausschlusssysteme der Dominanzkultur. Pop als Markt hingegen wird als qualitativ minderwertig bezeichnet und mit Konsum, Party, Profit, Unterhaltung, Lifestyle, Mainstream assoziiert und als Marken- bzw. Warenartikel deklariert. Pop wird in diesem Verständnis als Armation aufgefasst. Pop als Rebellion wird zumeist der Status autonomer, widerständiger, inkommensurabler Kunst im hochkulturellen Verständnis zugeschrieben; Pop als Konsum unter- liegt dem Verdacht kulturindustrieller Standardisierung und Instrumentalisierung. Die Zuweisung von Qualität (Pop als Rebellion und Subkultur) und Nicht-Qualität (Pop als Konsum und Mainstream) erfolgt in der reflexiven Auseinandersetzung mit Popkulturen wesentlich durch drei Bezugsrahmen: Politik, Bildung und Kunst. Mit dem Resultat, dass seit den 1960er-Jahren der popkulturelle Mainstream zumeist unter Verdacht gestellt und nur solche Popkulturen, die eine Nähe zur Kunst aufweisen bzw. sich selbst als populäre Kunst verstehen, als qualitativ hoch- wertig erscheinen. Als Beispiele können hier so unterschiedliche popkulturelle Formationen wie Pop Art, Art Rock, das Autorenkino eines Quentin Tarantino, das sogenannte Quality TV, z.B. US-amerikanische Fernsehserien wie »Breaking Bad«, die Medienkunst von Christoph Schlingensief oder die popmusikalischen Kunstfiguren Marylin Manson und Lady Gaga genannt werden.
Vor diesem Hintergrund wird die Beantwortung der Frage, ob Massen- taugliches oftmals von geringer Qualität ist, selbst zum Problem, denn diese Frage basiert auf einem grundlegenden Missverständnis von Populärer Kultur, Pop und Popkultur bzw. betrachtet die- se Kulturen aus einer hochkulturellen Perspektive. Die Frage adressiert hierarchische Differenzen, die als selbst- verständlich betrachtet werden und Populäre Kultur, Pop und Popkultur nach binären Oppositionen bewertet, die als normative Gütekriterien nicht gegenstandsbezogen sind bzw. die Vergleichbarkeit von Unvergleichbarem suggerieren: Hochkultur vs. Populäre Kultur bzw. Popkultur; Qualität vs. Nicht-Qualität; Emanzipation vs. Manipulation; Bildung vs. Verdummung; Oberfläche vs. Tiefe; Kritik vs. Anpassung etc. Diese Differenzen sind nicht selbstverständlich und markieren hin- gegen einen blinden Fleck im Umgang mit der Eigensinnigkeit von Populären Kulturen, Pop und Popkulturen – hin- sichtlich ihrer Produktion, Rezeption und soziokulturellen Bedeutung. Die Beurteilung der Qualität des popkulturellen Mainstreams kann man allererst treffen, wenn man die Qualitäten dieses Mainstreams kennt bzw. für diese unvoreingenommen o en ist. Darüber hinaus fungieren Populäre Kulturen, Pop und Popkulturen als Motoren für die überfällige Debatte, ob Qualität überhaupt ein relevanter Maßstab sein kann, um Kultur zu beurteilen.
Marcus S. Kleiner lehrt Medienmanagement an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation am Campus Stuttgart