25.09.2017 Tagungswirtschaft. September 2017. „Wir befinden uns in einer Skip-Gesellschaft“. Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Christian Funk über den Trend zur Festivalisierung.
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25.09.2017 Tagungswirtschaft. September 2017. „Wir befinden uns in einer Skip-Gesellschaft“. Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Christian Funk über den Trend zur Festivalisierung.

Tagungswirtschaft Marcus kleiner

25.09.2017 Tagungswirtschaft. September 2017. „Wir befinden uns in einer Skip-Gesellschaft“. Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Christian Funk über den Trend zur Festivalisierung.

Quelle: Tagungswirtschaft

Tagungswirtschaft

„WIR BEFINDEN UNS IN EINER SKIP-GESELLSCHAFT“

Prof. Dr. Marcus S. Kleiner, Studiengangleiter Erlebniskommunikation und Forschungskoordinator an der Hochschule der populären Künste in Berlin, über den Trend der „Festivalisierung“, dass Form niemals Inhalt schlagen dürfe und unser Verlangen nach Erlebnis.

tw tagungswirtschaft: Wie kann es sein, dass Mercedes-Benz aktuell auf der IAA ausgerechnet mit dem texanischen Festival South by Southwest (SXSW) die me Convention organisiert?
Prof. Dr. Marcus S. Kleiner: Das Herausragende bei SXSW ist ja die Tatsache, dass sie sozusagen den Content der Zukunft in Form eines Festivals zeigen. Die Veranstalter haben verstanden, durch die Festivalisierung des Inhalts Zukunftsthemen bzw. Zukunftsprojekte zu präsentieren. In der Gegenwart. Und zwar an einem sehr langweiligen Ort, in Austin/ Texas. Dort wird in der Einöde eine spezielle Erlebniswelt kreiert, die die Zukunft im Bereich Musik, Film und digitale Kreativität mit definiert. Das ist der Grund, warum SXSW eines der bedeutendsten Festivals weltweit ist. Was nun die Zusammenarbeit im Rahmen der IAA betrifft: Die Markenkommunikation von Mercedes-Benz ist in den letzten Jahren eher trist gewesen. Ich kann mich zumindest an keine Aktionen oder Projekte erinnern, die die Marke auf einer produktiven Ebene erlebbar gemacht haben. Die Idee, mit dem Festival zusammenzuarbeiten und die me Convention unter dem Motto #createthenew zu veranstalten, halte ich für sehr gut.

Inwiefern?
Natürlich wollen wir alle am Neuen partizipieren, weil wir unglaublich gesättigt sind. Wir „konsumieren“ jeden Tag die Welt – vor allem digital – um die Welt mitzubekommen, um zu erfahren, was passiert, was wir hören, sehen oder kennen müssen… Die me Convention wiederum steht für die Individualisierung, für die „Me“-Perspektive. Da wir jetzt als große Prosumer (ein Verbraucher, der sehr professionelle Ansprüche an ein Produkt hat) durch die Welt laufen, wollen wir das haben, was am besten zu uns selbst passt. Ein Massenprodukt wie ein Auto kann ich individualisieren, indem ich es aus der „Me“-Perspektive betrachte – zumindest dem Anschein nach. Insofern ist das ein spannender Dreh: Partizipieren an der Zukunft, an dem Neuen, und zwar individualisiert. Das ist ein Versprechen. Und wie ein solches Versprechen auf einer Konferenz umgesetzt wird, hat SXSW in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Insofern ist die Zusammenarbeit, Mercedes-Benz hängt sich ja quasi an die Marke SXSW an, ein logischer, konsequenter und sogar notwendiger Schritt.

Verlangen die Teilnehmer heute nach mehr „Erlebnis“ auf Veranstaltungen?
Teilnehmer schalten heutzutage viel schneller ab, haben viel weniger Geduld. Wir befinden uns in einer Skip-Gesellschaft. Man kann das ganz gut am Beispiel einer Konferenz festmachen. Es passiert ganz häufig, dass sich Teilnehmer in ihr Handy vertiefen, ihre Aufmerksamkeit der digitalen Welt widmen und nicht dem Ort, an dem sie gerade sind. Insofern ist es wichtig, dass man bei Veranstaltungen den Erlebnisfaktor so stark herausstellt, dass die, die teilnehmen, das Gefühl haben, etwas zu erleben, was wichtiger und spannender ist als die Erlebnisse, die digitale Medienkulturen versprechen.

Gilt das allgemein für Konferenzen?
Man muss natürlich differenzieren. Bei vielen wissenschaftlichen, medizinischen Konferenzen ist die Erlebnisorientierung eher negativ behaftet. Bei Medien- oder Businesskonferenzen hingegen ist es wichtig, dass Inhalte auf weniger klassischem Wege vermittelt werden, um im Gedächtnis zu bleiben.

Wie wichtig ist neben der Erlebnisorientierung denn die Umgebung für eine nachhaltige Wissensvermittlung?
Ganz entscheidend ist die Atmosphäre, die kann beispielsweise über den Raum vermittelt werden. Ein Raum muss so gestaltet sein, dass ich mich wohl und sicher fühle. Es kann auch positiv sein, wenn der Raum nicht als alltäglich empfunden wird. Dazu kommen Faktoren wie Sound, Bildqualität, Anordnung der Sitze, usw. Über den Raum kann eine einladende Atmosphäre vermittelt werden, die ich benötige, um mich Themen und Personen zu öffnen. Das ist eine Grundvoraussetzung für konstruktiven Austausch – eigentlich der erste Schritt. Der zweite entscheidende Schritt ist übrigens Zeitmanagement. Man kann ein komplexes Thema nicht in drei Minuten vorstellen. Das hat auch Steve Jobs nicht gemacht, wenn er ein neues Apple-Produkt vorgestellt hat. Ihm ging es dabei nicht um Wissensvermittlung, sondern um einen Aha-Effekt. Ich muss sehr genau analysieren, wie komplex meine Inhalte sind und wem ich sie eigentlich vermitteln will. Erlebnis stellt sich nur dann ein, wenn mein Teilnehmer bereit ist, sich zu öffnen und sich mit dem Raum, mit den Themen und den anderen Teilnehmern zu verbinden.

Kann zu viel Festival, Streetfood, Livemusik und Erlebnis nicht hinderlich sein für eine ernsthafte Kommunikation?
Absolut, denn grundsätzlich darf Form niemals den Inhalt schlagen. Ich muss mich auf Veranstaltungen entscheiden, was ich präsentieren möchte, wem ich es präsentieren möchte und wie ich die Leute unterhalten kann – ob ich das mit Bildern mache oder mit Tönen, ob ich es mit einem freien Vortrag mache oder ob ich meine Teilnehmer Inhalte interaktiv erleben lasse, sei erst mal dahingestellt. Entscheidend ist, dass dabei immer das eigentliche Thema im Vordergrund steht. Die Autorität muss immer vom Thema ausgehen und niemals von der Inszenierung.

Aus Ihrer Erfahrung: Hat sich die Form der Kommunikation auf Tagungen in den letzten Jahren verbessert?
Nein. Dort, wo ich selbst aktiv bin, also im wissenschaftlichen Kontext im Umfeld Medien, Kultur, Kommunikationswissenschaft und Soziologie, besuche ich inzwischen weniger Tagungen, weil sie für mich immer weniger eine produktive Form der Wissenskommunikation sind. Hier hat sich die Kommunikation auf keinen Fall positiv verändert. Ich war vor kurzem auf einer medienwissenschaftlichen Tagung, wo der Standardvortrag der abgelesene Papiervortrag war. Die Studierenden sind spätestens nach fünf Minuten in ihr Handy versunken, haben nicht mehr zugehört. Ich übrigens auch. Bei vielen Konferenzen, die ich in meinem wissenschaftlichen Kontext besuche, herrschen noch die traditionellen Vortragsformen – also Powerpoint, Skript usw. – vor, weniger die interaktiven Vorträge. Im Gegensatz zu diversen Businesskonferenzen, die ich besuche. Da passiert mir persönlich des Öfteren zu viel, also zu viel Blendung, zu viel Spektakel, zu viel Sensation. Ich finde es einen Mangel, dass man nicht hart an dem Thema Ästhetik der Präsentation und Ästhetik der Veranstaltungskommunikation arbeitet. Und zwar wechselseitig über die Systeme hinaus. Nicht immer auf einer Konferenz ist eine Twitterwall sinnvoll. Es ist nicht angebracht, wenn es die Aufmerksamkeit vom Vortrag abzieht. Es gibt leider diese beiden Extreme in der deutschen Veranstaltungslandschaft – zumindest in dem Ausschnitt, den ich beobachte.

Was ist Ihr Tipp an Veranstalter?
Man muss sich sehr genau auf sein annonciertes Publikum einlassen. Wie funktioniert mein Publikum eigentlich? Auf die Teilnehmer kommt es schließlich an. Mein Tipp wäre eine empirische Erforschung des Publikums und seiner Erwartungshaltung. Nach meiner persönlichen Erfahrung – ich unterrichte seit 19 Jahren – funktioniert ein Standardmodell angewandt an ein beliebiges Publikum einfach nicht.

Glauben Sie, dass Konferenzen, wie wir sie kennen, durch „Festivals“ wie re:publica oder Web Summit überflüssig werden, wenn sie sich nicht anpassen?
Absolut. Die re:publica ist ein wunderbares Beispiel, wie sich andere Tagungskontexte entwickeln könnten. Es ist vorbildlich, wie Themen behandelt werden, wie Sprecher eingebunden werden. Das ist ein Leuchtturm, an dem sich andere Veranstaltungen durchaus orientieren könnten. So könnte es laufen in einer zeitgemäßen, produktiven Form, die nicht die Form über den Inhalt legt.

Ab 2018 wird sogar die Cebit zum „Innovationsfestival“. Glauben Sie, dass auch auf Messen ein Wandel ansteht?
Auf Messen muss sogar ein Wandel stattfinden. Eine der langweiligsten Veranstaltungsformen ist doch die Messe. Man geht durch und wird erschlagen von Themen, die einen zwar interessieren, aber trotz einer Funktion als Schaufenster und ein paar Vorträgen ist eine Messe nicht wirklich zeitgemäß. Dass Messen auch Erlebnisorte werden, halte ich für dringend notwendig, damit Messen nicht irgendwann irrelevant werden. Wenn ich acht Stunden über eine Messe von Stand zu Stand renne, bin ich am Ende des Tages fertig mit der Welt. Da möchte ich keinen mehr sehen. Wenn ich aber dramaturgisch durch einen Messeraum geführt werde, wenn es gelingt, Erlebnisorte in den Hallen zu integrieren, wo ich mich als Besucher wohlfühle, dann würde das Messen unglaublich beleben. Und zum Thema Cebit: Wenn sich ausgerechnet die Veranstaltung, die eine der größten Innovationskulturen der vergangenen Jahre darstellt, so verschnarcht präsentiert wie zuletzt, ist der Wandel doch angebracht. Ich halte es für richtig und wichtig, aus Sicht der Cebit, innovativ zu werden und sich einer Erlebnisorientierung der Messe zu öffnen.

INTERVIEW: CHRISTIAN FUNK

Quelle: Artikel Tagungswirtschaft

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