FORUM – DAS WOCHENMAGAZIN. „Die Menschen permanent am Konsumieren halten.“
Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Achim Breitenbach
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FORUM – DAS WOCHENMAGAZIN. „Die Menschen permanent am Konsumieren halten.“

FORUM – DAS WOCHENMAGAZIN. „Die Menschen permanent am Konsumieren halten.“

Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Achim Breitenbach.

Quelle: FORUM – DAS WOCHENMAGAZIN

ZITATE:

``Herr Kleiner, wie sieht die Medienlandschaft der Zukunft aus?

Die Medienlandschaft der Zukunft wird noch digitaler werden und noch mehr Streamingangebote entwickeln. Soziale Medien und soziale Netzwerke werden noch mehr News- und Informationsfunktionen übernehmen. Wir werden eine noch stärkere digitale Transformation der Medienlandschaft erleben, die auch nicht wieder umkehrbar ist, sondern noch grundlegender unser Mediensystem und damit unseren Zugang zur und unseren Umgang mit der Wirklichkeit verändern wird.

Bedrohen Netflix und Co. wirklich unsere Demokratie?

In einer Demokratie ist es für die Bürgerinnen und Bürger einfach wichtig zu sagen: Ich kann selbst entscheiden, welche Themen mich interessieren und wie ich mich in der Welt positioniere. Die Selbstbestimmung, die Autonomie, die Vielfalt an Handlungs- und Informationsmöglichkeiten sind Grundlage in einer Demokratie, um ein autonomes Leben führen zu können. Die Idee der Streamingdienste ist aber die eines betreuten Lebens. Das heißt zum Beispiel, wenn Sie Netflix nutzen, unterliegen Sie einer permanenten Marktforschung. Das gibt es nirgendwo anders in der Gesellschaft. Immer, wenn Sie im Internet sind oder beim Streaming, wird all Ihr Handeln jede Sekunde dokumentiert, archiviert und ausgewertet. Netflix schaut genau, was Sie sehen, wie lange und welche Medien Sie nutzen. Sie schauen „House of Cards``? Dann kriegen Sie danach besonders viele Angebote zu Politik-Serien, zu Crime-Serien und zu Kevin Spacey. Und so wird Ihre Wahrnehmung, was Sie im Streaming interessieren könnte, gelenkt durch die Auswertung ihres Streaming-Verhaltens. Sie kriegen Perspektiven angeboten, die nicht mehr so selbstbestimmt sind, sondern die zugeschnitten sind auf das, was Sie bei Netflix noch zusätzlich konsumieren könnten. Ihre Entscheidungsfreiheit, Ihre Selektionsfreiheit, auch die Transparenz über die algorithmische Auswertung Ihres Handelns geht in den Streamingdiensten verloren, sodass man nicht mehr von Selbstbestimmung im klassischen Sinne sprechen kann.

Viele Konsumenten behaupten, die Streamingdienste machen das bessere Programm. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das ist die Verführungsstrategie. Wenn wir uns mit der digitalen Transformation beschäftigen, sind es immer die sozialen Medien oder Google, die in den Fokus der Kritik kommen. Das sind die Datenkraken, das sind die Datenanalytiker, die unsere Demokratie herausfordern. Niemand hat sich mit Blick auf das Video-on-Demand-Streaming bisher über die demokratiegefährdenden Potenziale der Streaminganbieter Gedanken gemacht, weil die Streaming-Unterhaltung größtenteils als unproblematisch betrachtet wird. Ich habe auch viele Streaming­abos, schaue gerne Serien und Filme. Da passiert viel auf der Ebene der Inhalte. Das ist auf der einen Seite eine spannende Entwicklung, aber das verführt, den Blick nicht auch darauf zu richten, was überhaupt inhaltlich das System Streaming wie auszeichnet.

Und das wäre?

Amazon Prime und Co. stehen nicht für eine bestimmte politische Ideologie, sondern für einen Ultra-Neoliberalismus, der sagt, konsumieren, konsumieren und weiter konsumieren. Und nur wenn ich die Zuschauer am Konsumieren halte, funktioniert mein System. Und letztlich ist es mir egal, was ich sende. Es geht nur darum, die Menschen permanent am Konsumieren zu halten und dabei mit sich selbst zu spiegeln. Weil man eigentlich vermeintlich nur das sieht, was einem gefällt. Beim Streaming ist der Trick zu sagen, es geht nur um dich. Algorithmen werten das aus, was du tust, um dir dann ein möglich perfektes Angebot zu machen, damit du dauernd konsumierst.

Welche Rolle spielen dann noch die öffentlich-rechtlichen Anbieter?

Die Öffentlich-Rechtlichen sind sehr, sehr stark angeschossen von den Streamingdiensten. Die geraten in Zugzwang. Eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt muss sich, wie alle anderen Fernsehsender auch, als Streamingdienst begreifen, um in den nächsten zehn Jahren noch konkurrenzfähig zu bleiben. Meine These ist, wenn das gebührenfinanzierte Modell in sich zusammenbricht, dann sind alle Anstalten in einer großen Krise, weil sie dann in einer richtigen Konkurrenz zu allen anderen Anbietern stehen – vor allem auch zu den Streamingdiensten. RTL und andere private Sender haben das besser gelöst, weil sie mit TV Now oder Joyn eigene Streamingdienste entwickelt haben. Die haben auch eigene Produktionen. Das ist für alle Streamingdienste wichtig, Eigenproduktionen zu haben.

Gehen Sie davon aus, dass die GEZ irgendwann wegfällt?

Es wird immer stärker diskutiert werden in den nächsten Jahren. Der Druck der digitalen Transformation ist da. Hörgewohnheiten und Mediennutzungsgewohnheiten haben sich sehr stark verändert. Der Altersdurchschnitt der Zuschauer, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen einschalten, ist in den letzten Jahren um zehn Jahre gestiegen. Die Nutzungsgewohnheiten der jungen Generation haben sich verändert. Es wird keine Rückkehr zum Fernsehen geben. Wenn man das diskutiert, besteht die Möglichkeit, dass das gebührenfinanzierte Modell in sich zusammenkippt.

Wie wird die Politik in der Zukunft aussehen? Gesteuert von Streamingdiensten, wenn das öffentlich-rechtliche Modell zerbricht?

Das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen wird dann ein Angebot neben vielen anderen sein. Natürlich wird es noch Politikmagazine wie „Monitor`` geben, zumindest hoffe ich das. Das wird ein On-Demand-Angebot sein für eine Gruppe, die dies gucken will. Aber wenn es weniger Leute gibt, die „Monitor`` sehen wollen, dann wird es eben „Monitor`` nicht mehr geben. Es wird Kulturmagazine nicht mehr geben. Es würde den Öffentlich-Rechtlichen nicht schaden, sich als On-Demand-Sender zu sehen. Darunter muss die Qualität nicht leiden, das muss einfach ein anderes Denken sein.

Könnte so etwas wie Fox News und Trump auch in Deutschland stattfinden?

Das glaube ich nicht, das Mediensystem in den USA ist komplett verschieden vom deutschen System. Man könnte Deutschland eher mit England vergleichen. Diese Machtkonzentration und diese undemokratische Verquickung von Politik und Medien, wie zum Beispiel mit Blick auf Fox News, werden in Deutschland in dieser Form nicht durchsetzungsfähig sein. Ich glaube an die Stärke unserer Demokratie. Wir müssen aber in Deutschland lernen, mit digitaler Vielfalt konstruktiver umzugehen und uns intensiver kritisch mit der digitalen Welt um uns herum auseinanderzusetzen.

Wie sieht die gesellschaftliche Zukunft aus?

Die On-Demand-Gesellschaft wird sich verstärken. Du kannst 24 Stunden lang alles haben. Das wird den Individualismus verstärken, weil man immer mehr erwartet, dass die Welt sich mir anpasst und ich mich nicht der Welt. Wir nutzen zwar alle die gleichen Services, aber leben in anderen Welten.``